Schon bei der vorhergehenden Produktion war unter anderem die Idee da, im griechischen Theater auf Stoffsuche für den Burgplatz zu gehen, um dessen natürliche Kulisse um so augenfälliger mit einzubeziehen, anderes bekam dann den Vorzug. Diesmal jedoch ist es soweit: Der Medea-Stoff führt uns nicht nur ins griechische Theater zu Euripides, sondern noch viel weiter zeitlich zurück in mythologische Ursprünge.

Medea ist als mythologischer Urtypus der "bösen", zauberkundig "verhexten", weil sich gegen die Männer auflehnenden Frau eine der schillerndsten und aufregendsten Figuren der Weltliteratur. Welche Faszination sie immer wieder auf Maler, Dichter und Theatermacher zu allen Zeiten ausgeübt hat, zeigt die Vielzahl der bildnerischen, literarischen und vor allem dramatischen Bearbeitungen, die es zu diesem Thema seit Euripides (431 vor Christus) gibt. Aber gerade dieser Euripides ist es, der die bekannteste Eigenheit Medeas schlichtweg erfunden hat, nämlich, dass sie ihre eigenen Kinder umgebracht hat, um sich an ihrem treulosen Ehemann Jason zu rächen. Diese Aussage über Medea, die dem griechischen Mythos nicht entspricht, haben aber die späteren Fassungen nie in Frage gestellt, sondern, bei allen sonstigen Abweichungen, immer wieder übernommen.

Christa Wolf hat sich als eine der ersten Autorinnen mit dem Vor-Euripides-Mythos beschäftigt und dabei ein anderes Medea-Bild gefunden, das sie in ihrem Prosatext "Medea-Stimmen" zeigt. Sie entwirft dabei das Bild einer Frau, die erstens Ausländerin, zweitens Außenseiterin und drittens Frau ist und aus genau diesen Gründen in einen "Politkrimi" hineingerät, in dem es vor allem um Machterhalt geht, in dem jemand wie Medea in die Rolle der "Bösen" gedrängt wird, weil man anders nicht mit ihr umgehen kann, weil man sie so loszuwerden versucht.

Genau der Spannungsbogen zwischen dem griechischen Klassiker Euripides und dem Christa-Wolf-Text, der eben diese Euripides-Variante der Geschichte zu widerlegen sucht, hat zu unserer Spielfassung, nämlich einer Montage aus beiden Texten, geführt. Vorzustellen sei folgende fiktive Situation: Eine Schauspieltruppe hat sich die "Medea" des Euripides vorgenommen und ist am Proben. Da die Gruppe, die das Stück gemeinsam erarbeitet, sich stark mit den Hintergründen auseinandergesetzt hat, fallen einigen Schauspielern in widersprüchlichen Stellen alternative Szenen ein, die sie ihren kritisch beobachtenden Kollegen vorspielen. Vor allem Chormitglieder schlüpfen dabei abwechselnd in die Rolle von Stückfiguren (es gibt vier Medeen) und zusätzlichen, die sie ihrer Beschäftigung mit dem Umfeld entnommen haben. So entsteht allmählich ein anderes Bild von Medea.

Die Textfassung besteht aus einem gekürzten Euripides-Text, der an bestimmten passenden Stellen unterbrochen wird und durch umgearbeitete Szenen aus Christa Wolfs "Medea-Stimmen" erweitert wird. Die "SchauspielerInnen" werden ihre Probenunterbrechungen allerdings nur spielerisch andeuten, auf eine dritte sprachliche und inhaltliche Ebene, in der sie etwa ihre Alternativszenen bzw. die Proben sprachlich reflektieren würden, haben wir verzichtet.

Vor allem die Arbeit mit dem griechischen Chor war diesmal die Herausforderung an die Truppe. Musikerinnen haben mit dem Chor Stimm- und Klangexperimente gemacht, die Chorbewegungen mussten choreographiert werden, in enger Anbindung an das für "Medea" geschaffene Bühnenbild. Schließlich wurden Trommler zur Unterstützung und Ergänzung der chorischen Teile, zur Schaffung von Atmosphäre gewonnen. Und wie in allen früheren Sommertheaterinszenierungen auf dem Burgplatz galt wieder das Grundprinzip des Zusammenwirkens von Laien und Profis, in allen Sparten, die zur Durchführung eines solchen Projekts nötig sind.













© Graphik: Henrik Bunzendahl, Oliver Müller unter Anleitung von "Die Lotsen"
© Fotos: Jürgen Waser
23.7.-29.7.1999: Der Kulturverein "Südlich vom Ochsen e.V." zeigt: "Medea"
Ensemble:

LYSSA, Vertraute von Medea und Amme ihrer beiden Kinder: Elke Vordermeier; MEDEA, Priesterin, Königstochter aus Kolchis: Regine Mayer; KREON, König von Korinth, der die Flüchtlinge aufgenommen hat, Vater von Glauke: Frank Müller; JASON, Anführer der Argonauten, der mit Hilfe von Medea das goldene Vlies erringt: Andreas Beutler; BOTIN, informiert die Korinther über die Vorgänge im Palast: Andrea Graykowski; CHOR, Männer und Frauen aus Korinth: Mathild Brinkhoff, Simon David, Jana Elzenbeck, Rosemarie Gütig, Ulrike Keller, Helga Meyer zur Capellen, Angelika Pfeiffer, Daniel Rüb, Judith Scheller, Lea Schlüter, Michael Wagner, Sandra Wilhelm; MEDEA II: Helga Meyer zur Capellen; AKAMAS, erster Astronom König Kreons: Michael Wagner; TELAMON, Argonaut, wichtigster Gefährte Jasons: Daniel Rüb; LEUKON, zweiter Astronom Kreons: Simon David; AGAMEDA, Kolcherin, einst Schülerin und Freundin Medeas: Judith Scheller; MEDEA III: Ulrike Keller; MEDEA IV: Angelika Pfeiffer; GLAUKE, Tochter Kreons, Braut Jasons, an epileptischen Anfällen leidend: Jana Elzenbeck

Crew: Idee: Kulturverein "Südlich vom Ochsen e.V."; Textoriginale: Peter Krumme & Christa Wolf; Textbearbeitung: Ingeborg Schneiberg; Regie: Ingeborg Schneiberg; Regieassistenz: Sonja Jirasek; Bühnenbild: Siegfried Kalnbach; Technische Assistenz: Frank Richter, Manu Heinisch, Jürgen Waser; Licht: Siegfried Kalnbach, Hanno Schupp, Bernd Häussermann; Kostüme: Sandra Wilhelm; Kostümassistenz: Ammelei Elzenbeck, Renate Lilly, Fritz Rademacher, Brigitte Rademacher; Maske: Sandra Wilhelm, Jennyfer Agoston, Gertrud Berger; Chorleitung: Claudia Keefer; Stimmbildung: Claudia Keefer; Musikalische Leitung: Maria Grossmann; Trommler: Damian Ludewig, Sandra Roth, Andrea Ludewig; Inspizienz: Timo Günther; Souffleuse: Sonja Jirasek; Organisation: Andreas Beutler, Jochen Berger, Sonja Jirasek; Helfer: Barbara Esslinger, Heike Beck, Charlotte Steimle, Uli Lindemann, Katha Feilhauer, Billa Mühleisen, Mimi Evert, Chrissy Scholl, Steff Werner, Steffen Elzenbeck, Frank Richter, Andreas Quass, Robert Schinkel, Manu Heinisch, Jürgen Waser, Vero Puligracki, Walter Werner, Rolf Keefer, Robi Kraus; Theatercafé: Thorsten Volz; Finanzierung: Jochen Berger; Sponsoring: Die Lotsen - Henrik Bunzendahl, Jochen Berger; Graphik-Design: Die Lotsen - Oliver Müller, Henrik Bunzendahl, Jochen Berger, Uwe Heidler, Bernd Häussermann; Presse: Die Lotsen - Henrik Bunzendahl
Danke! Der Kulturverein "Südlich vom Ochsen e.V." bedankt sich für die großzügige materielle und finanzielle Unterstützung, ohne die das 4. Marbacher Sommertheater nicht möglich gewesen wäre, bei:

Stadt Marbach a. N.
Marbacher Zeitung
Volksbank Ludwigsburg eG
Firma Oppenländer (Optik, Uhren, Schmuck)
Frau Wilhelm
der Weingärtnergenossenschaft Marbach und Umgebung eG
den MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung und des Bauhofs Marbach

Außerdem bedanken wir uns bei allen Bekannten, FreundInnen, Firmen und Institutionen sowie ihren MitarbeiterInnen, die das Projekt in irgendeiner Weise unterstützt haben. Es sind zu viele, um alle namentlich aufzuführen.

© Südlich vom Ochsen e.V. - Theater & Kultur (07.04.2006)
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